Dienstag, 14. Juni 2016

Selbstregulierter Medienkonsum beim Kleinkind - ein Erfahrungsbericht


Zu diesem Artikel wurde ich einerseits durch Gerald Hüthers Artikel zum Thema Fernseh- und Computerkonsum angeregt, andererseits durch die Antwort darauf auf dem Blog „Die Physik von Beziehungen“. Ich möchte auf diese Artikel zunächst mit meinem persönlichen Erfahrungsbericht reagieren.


Vom regulierten Kind …

In Sachen Fernsehen wurde versucht mich als Kind stark zu regulieren. Ich durfte zwar fernsehen, aber nur eine bestimmte Zeit bzw. eine begrenzte Anzahl von Serien. Doch das bewirkte von Anfang an wenig. Ich liebte Geschichten, ich liebte Serien. Also schaute ich heimlich ziemlich viel Fernsehen – immer wenn die Erwachsenen bei der Arbeit oder anderweitig außer Haus waren, oder auch bei meiner Oma, die mich sehr viel schauen ließ. Später schaute ich bei und mit Freund*innen fern, wenn diese einen eigenen Fernseher hatten. Dafür, dass ich reguliert wurde, habe ich ziemlich viel gesehen, aber größtenteils heimlich. Das war keine gute Basis für die Eltern-Kind-Beziehung. Ständig habe ich lügen müssen, um nicht erwischt zu werden, um nicht bestraft zu werden. Und ich konnte wenig reden über das, was ich gesehen hatte. Konnte meine Begeisterung wenig teilen. Konnte wenig Fragen stellen. So blieb vieles unbeantwortet.

In der dritten Klasse kam auch meine Begeisterung für Bücher dazu, als mir der Bücherbus gezeigt wurde und ich dort selbstständig Bücher ausleihen konnte. Für Jahre war ich fast jeden Mittwoch beim Bücherbus und habe jeweils etwa 10-20 Bücher abgegeben und wieder 10-20 neue ausgeliehen, zusätzlich noch jede Menge Hörkassetten und CDs. Ich liebte Bücher ebenso wie meine Lieblingsserien und -sendungen. Ich denke, dass ich meine Ausdrucksfähigkeit (in dieser Sprache, die nicht meine Muttersprache ist) und Kreativität zu einem großen Teil sowohl Büchern als auch Fernsehen zu verdanken habe.

Ingesamt habe ich viel Bildung den Medien zu verdanken. Sowohl den „Was ist Was“-Büchern als auch Wissensendungen. Ich wurde durch viele Serien in meinen Werten bestärkt. Sailor Moons Kampf für Liebe und Gerechtigkeit und Buffys Kampf gegen die Dämonen des Erwachsenwerdens haben mich zum Beispiel unterstützt in meinen schwierigen Phasen, wenn ich gemobbt wurde, Außenseiterin war oder Streit mit den Erwachsenen hatte.

Letztlich habe ich die Selbstregulation nachholen können, nachdem ich ausgezog. Wenn ich gerade nicht arbeiten war oder mich mit Freund*innen traf, war ich Zuhause und schaute sehr viel Fernsehen und Videos im Internet. Die Fernseher-Phase dauerte nicht lange an. Nach der ersten Befriedigung alles angucken zu dürfen, stellte ich fest, dass ich zu vieles zu langweilig fand oder ich vielen nzlich widersprach. Und auch bezüglich dem Konsum via Internet normalisierte sich mein Umgang damit allmählich. 
 

zur nicht regulierenden Mutter

All diese Gedanken und Erfahrungen mit meinem Reguliert-Werden haben dazu geführt, dass ich schon lange so wenig wie nötig regulieren wollte. Ich denke, dass ich viel weniger Schwierigkeiten mit Selbstregulation gehabt hätte, wenn ich schon viel früher die Möglichkeit gehabt hätte, mich darin üben zu können. Die Unerzogen-Gemeinschaft im Internet hat mich schließlich darin bestärkt, dass bezüglich der Dauer des Medienkonsums schon sehr früh keinerlei Regulation nötig ist.

Im ersten Lebensjahr meines Kindes habe ich noch viel Wert darauf gelegt, dass es keinen Bildschirmkonsum gibt – ganz einfach, weil verschiedenen Berichten nach das Gehirn im ersten Lebensjahr die sich schnell bewegenden Bilder noch gar nicht verarbeiten kann. Und da wir bewusst keinen Fernseher haben, ist es ohnehin nicht gegeben, dass der Fernseher „so nebenher“ läuft. Das ist ein mir sehr wichtiger Punkt.

Und so ohne Medienkonsum hätte es theoretisch wohl noch lange gehen können. Doch da ich nichts generell gegen Videos und Apps habe, habe ich mir sie schon recht früh zu nutze gemacht. Es fing damit an, dass wir Videos von unserem Kind machten und er dies irgendwann auch verstand und sie sehen wollte. Oder ich zeigte ihm kurze Videos, um ihm die Nägel ohne Gewalt schneiden zu können. Eine Weile hat er auch nur diese ein, zwei Minuten lang schauen wollen und nichts dagegen gehabt, dass ich danach das Smartphone wieder weglegte.

Irgendwann wurde sein Interesse für Videos und das Smartphone an sich größer. Da er sich schon früh für Musik interessierte, zeigte ich ihm dann z. B. Videos von Menschen, die auf irgendeine Art und Weise Musik machten. Zudem installierte ich Apps für Kleinkinder, bei denen er Schlagzeug oder Klavier oder Gitarre spielen konnte – zusätzlich zu Keyboard, Gitarren und Perkussionsinstrumenten, die es auch so zu Hause gibt. Für mich sind Videos schlichtweg eine Ressource von vielen, mit denen wir ihn in seiner Begeisterung und seinem Wissensdurst unterstützen.

Er begann schon früh damit, das nachzuahmen, was er in Videos sah, und ist anscheinend wie ich ein visueller Lerner. Z. B. schaute ich mit ihm mal ein Video an, in dem das Kind einer befreundeten Familie einen Purzelbaum machte. Direkt danach machte er nach wenigen Anläufen selbst einen Purzelbaum – ich glaube, er war da noch nicht einmal eineinhalb Jahre alt.

Vor allem aber ahmte er Musiker*innen nach. Er probierte an den Instrumenten zu Hause das aus, was er in den Videos sah. Er nimmt seit bald zwei Jahren mehrmals die Woche verschiedene längliche Objekte in die Hand, die dann ein Mikrofon darstellen, und singt hinein. Durch die Videos lernte er schon früh, dass Tanz auch oft zur Musik dazugehört, und begann zwischen zwei Gesangsparts von ihm einen Dancebreak einzulegen.

Wir unterstützten ihn in seiner Leidenschaft und zeigten ihm ganz unterschiedliche Musikrichtungen, Instrumente, Tanz- und Gesangsstile. Dinge, die wir in dieser Vielfalt ihm noch nicht hätten live zeigen können und die er teilweise auch nie live sehen wird, z. B. die Live-Performance eines Elvis Presley oder eines John Lennon. Auch seltenere Instrumente und deren Klang und Spielart sind ohne Videos schwer zu finden.

Doch er wollte zunehmend mehr Videos anschauen. Auch Zeichentrickserien wurden interessant. Wir achteten von Anfang an sehr auf die Auswahl, die wir ihm anboten. Dahingehend werden wir also noch lange regulierend einwirken, da so vieles in den Medien Dinge darstellt, die er noch gar nicht in einen Kontext setzen kann, Videos, die noch zu schnell und unübersichtlich für sein Gehirn sind oder die einen Inhalt haben, den wir ihm nicht zeigen wollen, weil wir ihn nicht normalisieren wollen – in der Regel irgendwelche Formen von subtiler oder offensichtlicher Gewalt. Ich fand es erschreckend durch mein Kind festzustellen, wie viele Kinderserien, die teilweise auch schon für Kleinkinder geeignet sein sollen, Gewalt enthalten oder viel Angst einjagen können.

Unser Vertrauen in das Konzept der Selbstregulation – zumindest was die Menge angeht – wurde zunehmend herausgefordert. Ich hatte schon zuvor in Unerzogen-Foren gelesen, dass es am Anfang normal war, dass der Konsum extrem hoch sein konnte, dies aber nur eine bestimmte Zeit lang wäre. Je länger Kinder zuvor reguliert wurden, desto länger dauerte diese Phase des hohen Konsums in der Regel. Somit hoffte ich, dass diese Phase nicht lange dauern würde.

Einen Monat lang hat sie gedauert. Einen Monat lang schaute er mehrere Stunden täglich seine Lieblingsvideos in Dauerschleife. Ich machte mir manchmal Sorgen und bot immer wieder Alternativen an. Doch mein Glauben an die Selbstregulierungsfähigkeiten war größer als meine Zweifel. Gerade gegen Ende der Phase wuchsen meine Sorgen, doch dann war es einfach vorbei. Von einem Tag auf den anderen wollte er nicht mehr so lange vor dem Bildschirm sitzen. Seit nun eineinhalb Jahren darf er so lange Videos schauen, wie er will (es sei denn, äußere Umstände ermöglichen dies nicht), aber konsumiert auf einem Level, das ich für gesund halte. Manchmal tagelang gar nicht. Manchmal gibt es Phasen, in denen er täglich, aber nur etwa zwanzig Minuten lang gucken möchte. Manchmal will er auch wieder mehr gucken, und dann wieder wochenlang fast gar nicht. 
 

Es fühlt sich gut an, ihm vertrauen zu können. Es fühlt sich gut an, mir keinen Kopf machen und nichts kontrollieren zu müssen. Wenn ich zurückdenke an den Kampf, den ich als Kind mit den Erwachsenen allein wegen Medienkonsums hatte, bin ich sehr froh, mir all dies sparen zu können. Ich bin sehr froh darüber, dass unser Verhältnis nicht deswegen leiden wird. Und ich freue mich über dieses Medienspektrum, das eine tolle Ressource darstellt, die noch lange eine wichtige Rolle in unserem freilernenden Alltag spielen wird. Wenn wir zum Beispiel über ein Tier reden, kann ich ihm dieses Tier in Videos zeigen, ohne Sorge, dass er dann stundenlang vor dem Bildschirm hängen bleiben würde. Denn Videos als Ressource sind in diesem Haushalt so normal wie der Blick ins Buch.

Wie schon oben erwähnt, regulieren wir nicht, was die Dauer angeht, aber durchaus in anderen Bereichen, die zum Konsum dazugehören, und achten insgesamt darauf, dass Medienkonsum aus Abhängigkeitsgründen keine Gefahr darstellt. Wie wir das machen, erzähle ich euch im nächsten Beitrag.


Um rechtzeitig davon zu erfahren, könnt ihr bei meiner Seite auf facebook rechts auf „Gefällt mir“ und dann auf „Benachrichtigungen ein“ klicken. In den nächsten Tagen werde ich auch einen Newsletter einrichten, in den ihr euch dann eintragen könnt. Mehr Infos wird es dann im Blog geben.  

Was sind eure Erfahrungen mit der Selbstregulation bzgl. der Dauer des Medienkonsums? Teilt sie mit uns in der Kommentarspalte. :)

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