Vom regulierten
Kind …
In Sachen Fernsehen
wurde versucht mich als Kind stark zu regulieren. Ich durfte zwar
fernsehen, aber nur eine bestimmte Zeit bzw. eine begrenzte Anzahl
von Serien. Doch das bewirkte von Anfang an wenig. Ich liebte
Geschichten, ich liebte Serien. Also schaute ich heimlich ziemlich
viel Fernsehen – immer wenn die Erwachsenen bei der Arbeit oder
anderweitig außer Haus waren, oder auch bei meiner Oma, die mich
sehr viel schauen ließ. Später schaute ich bei und mit Freund*innen
fern, wenn diese einen eigenen Fernseher hatten. Dafür, dass ich
reguliert wurde, habe ich ziemlich viel gesehen, aber größtenteils
heimlich. Das war keine gute Basis für die Eltern-Kind-Beziehung.
Ständig habe ich lügen müssen, um nicht erwischt zu werden, um
nicht bestraft zu werden. Und ich konnte wenig reden über das, was
ich gesehen hatte. Konnte meine Begeisterung wenig teilen. Konnte
wenig Fragen stellen. So
blieb vieles unbeantwortet.
In der dritten
Klasse kam auch meine Begeisterung für Bücher dazu, als mir der
Bücherbus gezeigt wurde und ich dort selbstständig Bücher
ausleihen konnte. Für Jahre war ich fast jeden Mittwoch beim
Bücherbus und habe jeweils etwa 10-20 Bücher abgegeben und wieder
10-20 neue ausgeliehen, zusätzlich noch jede Menge Hörkassetten und
CDs. Ich liebte Bücher ebenso wie meine Lieblingsserien und
-sendungen. Ich denke, dass ich meine Ausdrucksfähigkeit (in dieser
Sprache, die nicht meine Muttersprache ist) und Kreativität zu einem
großen Teil sowohl Büchern als auch
Fernsehen zu verdanken habe.
Ingesamt
habe ich viel Bildung den Medien zu verdanken. Sowohl den „Was ist
Was“-Büchern als auch Wissensendungen.
Ich wurde durch viele Serien
in meinen Werten bestärkt. Sailor
Moons Kampf für Liebe und Gerechtigkeit und Buffys Kampf gegen die
Dämonen des Erwachsenwerdens haben mich zum
Beispiel unterstützt in
meinen schwierigen Phasen, wenn ich gemobbt wurde, Außenseiterin war
oder Streit mit den
Erwachsenen hatte.
Letztlich
habe ich die Selbstregulation nachholen können, nachdem ich
ausgezog. Wenn ich gerade nicht arbeiten war oder mich mit
Freund*innen traf, war ich Zuhause und schaute sehr viel Fernsehen
und Videos im Internet. Die Fernseher-Phase dauerte nicht lange an.
Nach der ersten Befriedigung alles angucken zu dürfen, stellte ich
fest, dass ich zu vieles zu langweilig fand oder ich vielen nzlich widersprach. Und auch bezüglich dem
Konsum via Internet normalisierte sich mein Umgang damit allmählich.
… zur nicht
regulierenden Mutter
All
diese Gedanken und Erfahrungen mit meinem Reguliert-Werden
haben dazu geführt, dass ich schon lange so wenig wie nötig regulieren wollte. Ich
denke, dass ich viel weniger Schwierigkeiten mit Selbstregulation
gehabt hätte, wenn ich schon viel früher die Möglichkeit gehabt
hätte, mich darin üben zu können. Die
Unerzogen-Gemeinschaft im Internet hat mich schließlich
darin bestärkt, dass bezüglich der Dauer des
Medienkonsums schon sehr
früh keinerlei Regulation nötig ist.
Im
ersten Lebensjahr meines
Kindes habe ich noch viel
Wert darauf gelegt, dass es keinen Bildschirmkonsum gibt – ganz
einfach, weil verschiedenen Berichten nach das Gehirn im ersten
Lebensjahr die sich schnell bewegenden Bilder noch gar nicht
verarbeiten kann. Und da wir
bewusst keinen Fernseher
haben, ist es ohnehin nicht
gegeben, dass der Fernseher „so nebenher“ läuft. Das ist
ein
mir
sehr wichtiger Punkt.
Und
so ohne Medienkonsum hätte es theoretisch wohl noch lange gehen
können. Doch da ich nichts generell gegen Videos und Apps habe, habe
ich mir sie schon recht früh zu nutze gemacht. Es fing damit an,
dass wir
Videos von unserem Kind
machten
und er dies irgendwann auch verstand und sie sehen wollte. Oder ich
zeigte ihm kurze Videos, um ihm die Nägel ohne Gewalt schneiden zu
können.
Eine Weile hat er auch nur diese ein, zwei Minuten lang schauen
wollen und nichts dagegen gehabt, dass ich danach das Smartphone
wieder weglegte.
Irgendwann
wurde sein Interesse für
Videos und das Smartphone an sich größer.
Da er sich schon früh für
Musik interessierte, zeigte ich ihm dann z. B. Videos von Menschen,
die auf irgendeine Art und Weise Musik machten. Zudem installierte
ich Apps für Kleinkinder, bei denen er Schlagzeug oder Klavier oder
Gitarre spielen konnte – zusätzlich
zu Keyboard, Gitarren und Perkussionsinstrumenten,
die es auch so zu
Hause
gibt. Für mich sind Videos schlichtweg
eine Ressource von vielen,
mit denen wir ihn in seiner Begeisterung und seinem Wissensdurst
unterstützen.
Er
begann schon früh damit, das nachzuahmen, was er in Videos sah, und
ist anscheinend wie ich ein visueller Lerner.
Z. B. schaute ich mit ihm mal ein Video
an, in dem das Kind einer
befreundeten Familie einen
Purzelbaum machte. Direkt danach machte er nach wenigen Anläufen
selbst einen
Purzelbaum – ich glaube, er war da noch nicht einmal eineinhalb
Jahre alt.
Vor
allem aber ahmte
er Musiker*innen nach. Er probierte an den Instrumenten zu
Hause
das aus, was er in den Videos sah. Er nimmt seit bald zwei Jahren
mehrmals die Woche verschiedene längliche Objekte in die Hand, die
dann ein Mikrofon darstellen, und singt hinein. Durch die Videos
lernte er schon früh, dass Tanz auch oft zur Musik dazugehört, und
begann zwischen zwei Gesangsparts von ihm einen Dancebreak
einzulegen.
Wir unterstützten ihn in seiner Leidenschaft und zeigten ihm ganz
unterschiedliche Musikrichtungen, Instrumente, Tanz- und
Gesangsstile. Dinge, die wir in dieser Vielfalt ihm noch nicht hätten
live zeigen können und die er teilweise auch nie live sehen wird, z.
B. die Live-Performance eines Elvis Presley oder eines John Lennon.
Auch seltenere Instrumente und deren Klang und Spielart sind ohne Videos schwer zu
finden.
Doch
er wollte zunehmend mehr Videos anschauen. Auch Zeichentrickserien
wurden interessant. Wir achteten
von Anfang an sehr auf die
Auswahl, die wir ihm anboten.
Dahingehend werden
wir also noch lange regulierend einwirken,
da so vieles in den Medien
Dinge darstellt, die er noch gar nicht in einen Kontext setzen kann,
Videos,
die noch zu schnell und
unübersichtlich für sein
Gehirn sind oder die einen Inhalt haben, den wir ihm nicht zeigen
wollen, weil wir ihn nicht normalisieren wollen – in der Regel
irgendwelche Formen von subtiler oder offensichtlicher Gewalt. Ich
fand es erschreckend durch mein Kind festzustellen, wie viele Kinderserien,
die teilweise auch schon für Kleinkinder geeignet sein sollen,
Gewalt enthalten oder viel Angst einjagen können.
Unser Vertrauen in das Konzept der Selbstregulation – zumindest was
die Menge angeht – wurde zunehmend herausgefordert. Ich
hatte schon zuvor in Unerzogen-Foren gelesen, dass es am Anfang
normal war, dass der Konsum extrem hoch sein konnte, dies aber nur
eine bestimmte Zeit lang wäre. Je länger Kinder zuvor reguliert
wurden, desto länger dauerte diese Phase des hohen Konsums in der
Regel. Somit hoffte ich, dass
diese Phase nicht lange dauern würde.
Einen
Monat lang hat
sie
gedauert. Einen Monat lang schaute er mehrere Stunden täglich seine
Lieblingsvideos in Dauerschleife. Ich machte mir manchmal
Sorgen und bot immer wieder Alternativen an. Doch mein Glauben an die
Selbstregulierungsfähigkeiten war größer als meine Zweifel. Gerade
gegen Ende der Phase wuchsen meine Sorgen, doch dann war es einfach
vorbei. Von einem
Tag auf den anderen wollte er nicht mehr so lange
vor dem Bildschirm sitzen.
Seit nun eineinhalb Jahren darf er so lange Videos schauen, wie er
will (es sei denn, äußere Umstände ermöglichen dies nicht), aber
konsumiert auf einem Level, das ich für gesund halte. Manchmal
tagelang gar nicht. Manchmal gibt es Phasen, in denen er täglich,
aber nur etwa zwanzig Minuten lang
gucken möchte. Manchmal will er auch wieder mehr gucken, und dann
wieder wochenlang fast gar nicht.
Es
fühlt sich gut an, ihm vertrauen zu können. Es fühlt sich gut an,
mir keinen Kopf machen
und nichts kontrollieren zu müssen. Wenn ich zurückdenke an den
Kampf, den ich als Kind mit den Erwachsenen allein wegen
Medienkonsums
hatte, bin ich sehr froh, mir all dies sparen zu können. Ich bin
sehr froh darüber, dass unser Verhältnis nicht deswegen leiden
wird. Und ich freue mich über dieses Medienspektrum, das eine
tolle Ressource darstellt, die noch lange eine wichtige Rolle in
unserem freilernenden Alltag spielen wird. Wenn wir zum Beispiel über ein Tier reden, kann ich ihm dieses Tier in Videos zeigen, ohne Sorge, dass er dann stundenlang vor dem Bildschirm hängen bleiben würde. Denn Videos als Ressource sind in diesem Haushalt so normal wie der Blick ins Buch.
Wie
schon oben erwähnt, regulieren wir nicht, was die Dauer angeht, aber
durchaus in anderen Bereichen, die zum Konsum dazugehören, und
achten insgesamt darauf, dass Medienkonsum aus Abhängigkeitsgründen
keine Gefahr darstellt. Wie wir das machen, erzähle ich euch im
nächsten Beitrag.
Um
rechtzeitig davon zu erfahren, könnt ihr bei
meiner Seite auf facebook
rechts auf „Gefällt mir“ und
dann auf „Benachrichtigungen ein“ klicken. In den nächsten Tagen werde ich auch einen Newsletter einrichten, in den ihr euch dann eintragen könnt. Mehr Infos wird es dann im Blog geben.
Was sind eure Erfahrungen mit der Selbstregulation bzgl. der Dauer des Medienkonsums? Teilt sie mit uns in der Kommentarspalte. :)
Was sind eure Erfahrungen mit der Selbstregulation bzgl. der Dauer des Medienkonsums? Teilt sie mit uns in der Kommentarspalte. :)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen